Liebe Antje Ott, sehr geehrte Damen und Herren,
herzlichen Glückwunsch an alle Frauen zum Internationalen Frauentag und an alle Anwesenden zum Tag des Weltfriedens!
Schön, dass dem Internationalen Frauentag immer mehr Aufmerksamkeit zu Teil wird – nicht zuletzt auch dadurch, dass er ja in Berlin jetzt zum Feiertag wurde. Ich finde es großartig, dass bei der Entscheidung, einen weiteren Feiertag einzuführen (Berlin ist ja z.B. gegenüber Rheinland-Pfalz feiertagsmäßig etwas im Rückstand) die Wahl auf den Internationalen Frauentag fiel. Ein wichtiges Zeichen.
Der Internationale Frauentag hat übrigens in diesem Jahr selbst einen runden Geburtstag: Er wurde 110 Jahre alt. Die Idee dazu kam aus den USA. Dort hatten Frauen der Sozialistischen Partei Amerikas (SPA) 1908 beschlossen, einen besonderen nationalen Kampftag für das Frauenstimmrecht zu initiieren. Dieser erste Frauentag in den USA am 28. Februar 1909 war ein voller Erfolg – auch weil sich bürgerliche Frauenrechtlerinnen den Forderungen nach dem Frauenwahlrecht anschlossen und gemeinsam mit den Sozialistinnen demonstrierten.
In Europa wurde er erstmals am 19. März 1911 ausgerufen, und zwar auf Initiative der Sozialdemokratin Clara Zetkin (die sich später der USPD anschloss). Vor allem sozialistischen Frauen galt er fortan als Symboltag im Kampf um Gleichberechtigung, das Wahlrecht für Frauen sowie die Emanzipation der Arbeiterinnen. Seit 1921 wird er jährlich am 8. März gefeiert.
Die Vereinten Nationen erkoren ihn 1977 zum Tag der Rechte der Frau und des Weltfriedens. Ein gemeinsamer Tag für Frauenrechte und Weltfrieden – was für eine gute Idee! Beides hängt doch wirklich so eng zusammen – brechen, wo Krieg herrscht, doch als Erstes die Frauenrechte ein.
Wir feiern 2019 aber auch einen richtig runden Geburtstag, nämlich 100 Jahre Frauenwahlrecht. Am 19. Januar 1919 konnten bei den Wahlen zur verfassungsgebenden Nationalversammlung in Deutschland Frauen zum ersten Mal das aktive und passive Wahlrecht ausüben.
Erstmals wählen durfte übrigens auch eine andere Bevölkerungsgruppe, nämlich Soldaten. Und das Wahlrecht wurde von 25 auf 20 Jahre heruntergesetzt, so dass insgesamt eine viel größere Zahl von Wählerinnen und Wählern mitbestimmen durfte als bei den letzten Wahlen vor dem Krieg, 1912. Das war im Zuge der Revolutionären von 1918 durchaus beabsichtigt: Von einer weiblicheren, jüngeren Wählerschaft inkl. Soldaten erhoffte man sich eine progressive Mehrheit.
Diese progressive Mehrheit gab es nach den Wahlen auch – allerdings war dies weniger den Frauen zu verdanken, denn sie hatten mehrheitlich eher konservativ gewählt. Als stärkste Partei ging mit 37,9% die SPD aus den Wahlen hervor. Zwar stärkste Kraft, aber weit von einer absoluten Mehrheit entfernt musste die SPD Koalitionspartner finden und ging eine Dreierkoalition mit dem Zentrum und der linksliberalen DDP ein. Friedrich Ebert wurde Reichspräsident, Philipp Scheidemann Reichskanzler.
Die Nationalversammlung hatte 423 Mitglieder – 37 davon oder 9% waren Frauen. 19 davon (12%) gehörten der SPD an. Den höchsten Frauenanteil mit rund 14% hatte aber die USPD.
Eine bis heute bekannte Politikerin der Zeit war die Reichstagsabgeordnete Marie Juchacz, SPD. Sie hielt am 19. Februar 1919 als erste Frau eine Rede im Reichstag. Dabei benutzte sie die heute regelmäßig von unserer Ministerpräsidentin Malu Dreyer benutzte Anrede „Meine Herren und Damen“. In Bezug auf das Frauenwahlrecht sagte sie:
„Ich möchte hier feststellen(…), daß wir deutschen Frauen dieser Regierung nicht etwa in dem althergebrachten Sinne Dank schuldig sind. Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist.“
Im Protokoll ist an dieser Stelle der Zwischenruf verzeichnet: „Sehr richtig!“
Marie Juchacz war eine sehr soziale Frau und hat sich zeitlebens für bedürftige Menschen eingesetzt. Im Dezember 1919 gründete sie die Arbeiterwohlfahrt, die AWO, deren 100. Geburtstag wir dieses Jahr auch noch feiern werden.
Das Wahlrecht ist 1919 natürlich nicht vom Himmel gefallen. Möglich wurde es erst durch die Revolution mit der Abdankung des Kaisers im Zuge des verlorenen Ersten Weltkrieges. Blicken wir einen kurzen Moment vor den Ersten Weltkrieg zurück:
Da gab es bereits etwa fünfzigJahre zähen und intensiven Kampfes der Deutschen Frauenbewegung. Dabei ging es zunächst gar nicht primär um politische Beteiligung, sondern um Bildung und Berufstätigkeit. Der Zugang zu Gymnasien und Universitäten war den Frauen lange versperrt. Ab 1896 wurden Frauen als Gasthörerinnen an mehreren Universitäten zugelassen, es dauerte noch einmal über zehn Jahre, bis die meisten Universitäten Frauen regulär zum Studium zuließen.
Das Recht auf Bildung ist natürlich immer auch ein Recht auf Teilhabe, und wo Frauen Bildung verwehrt wird, wird ihnen ein grundlegendes Menschenrecht genommen. Im 19. Jahrhundert war für Frauen aber eben keine Bildung und eigenständige Berufstätigkeit vorgesehen, sondern eine Rolle als Hausmutter. Weit verbreitet war die Auffassung, Frauen seien Männern intellektuell unterlegen.
Ab den 1870er Jahren wurde neben dem Recht auf Bildung auch der Ruf nach politischer Gleichstellung und dem Wahlrecht immer lauter. Es gründeten sich Frauenstimmrechtsvereine bis weit ins bürgerliche Lager hinein. 1919 gab es im Deutschen Reich Tausende Frauenvereine mit Hunderttausenden von Mitgliedern – quer durch alle politischen Lager. Im Bund Deutscher Frauenvereine waren nicht nur zahlreiche Berufsverbände vertreten, sondern mit dem Deutsch-evangelischen Frauenbund, dem Katholischen Frauenbund Deutschlands und dem Jüdischen Frauenbund auch alle großen Konfessionen.
Wo etwas in Bewegung gerät, formieren sich auch Gegner. Mit dem „Deutschen Bund zur Bekämpfung der Frauenemanzipation“ gab es ab 1912 einen offiziellen Chor von Antifeministen, in den zuweilen auch Frauen einfielen, wie z.B. Kathinka von Rosen mit ihrem Pamphlet „Über den moralischen Schwachsinn des Weibes“.
Dass solche Stimmen sich auch noch heute bisweilen Gehör verschaffen wollen, und zwar durchaus auch von weiblicher Seite, erleben wir in unserem Parlament, wenn z.B. ausgerechnet die Frauen der AfD die Abschaffung von Gender-Lehrstühlen fordern oder von „Gender-Gaga“ reden.
In den 20er Jahren änderte sich das Frauenbild radikal. Frauen hatten nicht nur das Wahlrecht, das Recht auf höhere Schulbildung und ein Universitätsstudium erstritten – insbesondere in der Arbeiterschicht hatten sie kriegsbedingt auch in großer Zahl die Männer ersetzt und waren zur Ernährerin der Familie geworden. Nach dem Krieg ließen sich so schnell nicht mehr aus der Arbeitswelt verdrängen. Der Krieg hatte für einen gewaltigen Männermangel gesorgt: So betrug in Berlin das Verhältnis Männer zu Frauen 1:4.
Die 20er Jahre brachten auch eine kulturelle Emanzipation der Frau, die sich sehr anschaulich in der Mode zeigt. Die arbeitende Frau brauchte eine neue Bewegungsfreiheit, bei der Korsett und Mieder nur störten. Die bekannteste Mode-Vertreterin der Zeit, Coco Chanel, machte es vor: Sie nahm Anleihen bei der Männermode und trug die Haare kurz. Modisch waren weite Kleider, flache Brüste und eine extrem tiefe Taille, so dass die Konturen insgesamt androgyner wurden und ein ganz neues Bild ergaben.
Auch in sexueller Hinsicht brachten die Zwanziger eine neue Freiheit, die uns, die wir wissen, was danach passierte, heute überraschen mag: So existierte z.B. ab 1924 mit der „Freundin“ eine offen lesbische Zeitschrift. Es gab sie bis 1933.
Als die Nazis an die Macht kamen, wurde das Rad in Windeseile zurückgedreht. Ab 1933 war es für die Frauen mit dem passiven Wahlrecht wieder vorbei. Auch höhere Parteiämter waren für sie nicht vorgesehen. Homosexualität wurde streng bestraft, genauso Schwangerschaftsabbruch (außer bei aus NS-Sicht „rassisch Minderwertigen“). Höchste Priorität genoss eine glorifizierte Mutterrolle, die im Mutterkreuz oder der Organisation Lebensborn Ausdruck fand. Die Frau wurde zur Produzentin von künftigen Soldaten und Ariern zur Besiedlung der eroberten Gebiete degradiert. „Jedes Kind, das sie zur Welt bringt, ist eine Schlacht, die sie besteht für das Sein oder Nichtsein ihres Volkes“ brachte Hitler seine Haltung 1934 auf den Nürnberger Reichsparteitag auf den Punkt.
Genug davon!
Nicht hoch genug schätzen können wir den Kampf der Mütter des Grundgesetzes im Jahre 1949 für Artikel 3 unserer Verfassung. Die Sozialdemokratin Elisabeth Selbert war es, von der der wegweisende Satz stammte: „Männer und Frauen SIND gleichberechtigt.“ Das bedeutet: Sie haben von Geburt an die gleichen Rechte, bekommen sie nicht gewährt, und wenn die gesellschaftliche Realität anders aussieht, entspricht dies nicht dem Grundgesetz.
Und die gesellschaftliche Realität sah natürlich anders aus: Das seit 1900 nahezu unveränderte 5. Buch des BGB, das Familienrecht, enthielt in § 1354 den Satz: „Dem Manne steht die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu.“ Auch in Fragen der Haushaltsführung und der Kindererziehung entschied in Streitfällen der Mann allein. Die Ehefrau durfte nur dann berufstätig sein, wenn sie dadurch ihre familiären Verpflichtungen nicht vernachlässigte. Arbeitsverträge seiner Frau konnte der Mann auch gegen ihren Willen kündigen. Kam es darüber in der Ehe zu Streit und Scheidung, lag die Schuld bei der Frau, und eine schuldig geschiedene Frau bekam nicht die Kinder zugesprochen.
Erst 1977 wurde das Ehe- und Familienrecht entsprechend geändert. Dies ging auf die seit den späten 1960er Jahren erstarkende neue Frauenbewegung zurück, die zu einer liberaleren Gesellschaft massiv beigetragen hat. Wie in den 20er Jahren, zeigte sich die Aufbruchstimmung der (vor allem) 70er Jahre auch in sexueller Selbstbestimmung, zu der auch der Kampf gegen § 218 gehörte.
Die neue Frauenbewegung hat noch etwas sehr Wichtiges bewirkt: Lange tabuisierte Probleme wie Gewalt gegen Frauen und sexualisierte Gewalt in Familie und Gesellschaft wurden endlich zur Sprache gebracht. Zur Sprache bringen, heißt natürlich noch nicht „Problem gelöst“: Auch heute noch versucht statistisch gesehen jeden Tag ein Mann, seine Partnerin oder Frau zu töten. Und jeden zweiten Tag gelingt es. Erst seit 1971 bieten Frauenhäuser einen gewissen Schutz.
Vergewaltigung in der Ehe wurde sogar erst 1997 wurde unter Strafe gestellt. Die „Me-Too-Bewegung“ zeigt, wie alltäglich Gewalt gegen Frauen nach wie vor leider ist.
Dass Sprache unser Denken bestimmt und unser Denken unser Handeln, gehört zu den philosophischen Binsenweisheiten. Folgerichtig legten Feministinnen daher von jeher (wie Marie Jucharcz 1919) großen Wert auf eine gendergerechte Sprache. Ich meiner Studienzeit in den 80er Jahren musste man immer wieder erklären, was das mit dem großen I sollte – heute wird vom Gender-Sternchen abgelöst. Als Aufreger taugt es bei manchen leider immer noch.
In der SPD haben die Frauen 1988 die Quotierung durchgesetzt. 40% aller Listenplätze und aller Ämter sollten zukünftig von Frauen besetzt sein. Heute müssen es 50% sein. Nicht nur in der SPD, aber längst nicht bei allen Parteien wechseln sich Männer und Frauen auf den KandidatInnenlisten im Reißverschlussverfahren ab.
Die Zahl der Frauen in den Parlamenten entspricht 2019 leider bei weitem nicht dem Anteil der Frauen an der Bevölkerung. Waren es 1919 9% Frauen in der Nationalversammlung, sind es heute im Bundestag 31% und im Landtag von Rheinland-Pfalz 35,6%. Das ist nicht gut – denn so stehen aktuelle Ungleichheiten wie die Lohndifferenz zwischen Männern und Frauen, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die Altersarmut von Frauen oder die Gewalt gegen Frauen nicht weit oben genug auf der Tagesordnung. Sie sind unseren Männern nicht wichtig genug, um endlich substanziell etwas zu ändern. Was wir brauchen, ist eine wirkliche Umsetzung von Artikel 3 in der Praxis.
In Frankreich heißt das Parité und ist seit 2000 geltendes Recht. Alle Parteien müssen dort ihre Listen im Reißverschlussverfahren quotieren. Und auch Ämter in der staatlichen Verwaltung und in Berufsorganisationen werden quotiert besetzt. Paritégesetze gibt es außerdem in Belgien, Portugal, Spanien und Slowenien sowie in zwölf lateinamerikanischen Staaten und in Tunesien. In Brandenburg wurde im Januar 2019, genau 100 Jahre, nachdem Frauen erstmals wählen durften, ein Paritégesetz beschlossen.
Viele Frauen aus ganz unterschiedlichen Parteien (bei der CDU z.B. sehr aktiv Rita Süssmuth) setzen sich für ein Paritégesetz auf Bundesebene auch in Deutschland ein. Ich gehöre auch dazu. Ich bin davon überzeugt, dass ein höherer Frauenanteil in Politik und Verwaltung zu mehr Gerechtigkeit, Demokratie und Frieden führt.
Bis wir das mit der Parité geschafft haben, haben Sie es aber schon einmal in der Hand, bei den Kommunalwahlen möglichst viele Frauen in den Stadtrat zu wählen. Mit Kumulieren und Panaschieren ist schließlich auch einiges möglich.
Welche Themen uns Frauen heute sonst noch beschäftigen und welche Fragen immer noch ungelöst sind, wissen Sie selbst am besten. Sei es eine unzureichende Kinderbetreuung, die Lohnungleichheit gegenüber Männern oder einfach die Tatsache, dass Frauen immer noch den Löwinnenanteil der Hausarbeit erledigen – unabhängig davon, wieviel beide Partner berufstätig sind. Uns gehen die Themen nicht aus. Hören wir nicht auf, zu kämpfen – und zwar am besten gemeinsam. Für die Rechte der Frau – und für den Weltfrieden.
Vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben.