Videomitschnitt: http://www.landtag.rlp.de/landtag/opal-videos/77-Sit31.mp4

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,

mein Studienfreund Bernd hatte mit 29 den ersten Herzinfakt. Mit 42 folgte der Zweite und mit knapp 50 der Dritte. Der letzte Infarkt hat das Herz so weit zerstört, dass er als „high urgent“ auf der Transplantationsliste steht.

Bernds Leben ist auf seine Wohnung beschränkt. Bis auf Arztbesuche kann er sie nicht verlassen. Dazu 14 verschiedene Medikamente am Tag, tägliche Kreislaufzusammenbrüche und das Ausräumen der Spülmaschine kann aus Kraftmangel den ganzen Tag dauern.

Für eine Herztransplantation müsste Bernd sich in ein Transplantationszentrum begeben und jederzeit operationsbereit halten. Dort wartet man durchschnittlich zwischen einem halben und zwei Jahren auf sein Spenderorgan. Selbst wenn man seine Wohnung kaum mehr verlassen kann, ist doch die Frage, ob man seine letzten Monate stattdessen auf einer der Isolierstation verbringen möchte – unbestimmt wartend und mit einer Chance von 1:5, dass alles gut geht. Bernd möchte das nicht.

Dass die Chancen so gering sind, hat natürlich mit dem Mangel an Organen zu tun. Die langen Wartezeiten führen dazu, dass die Menschen immer kränker werden. Leider versterben sehr Viele während der Wartezeit im Transplantationszentrum. Die Wartezeit selbst ist dabei leider auch ein krankmachender Faktor.

In anderen europäischen Ländern ist es anders. Dort gibt es eine andere Rechtslage, die dazu führt, dass wesentlich mehr Organe zur Verfügung stehen. Die Wartezeit ist sehr viel kürzer, wodurch auch die Erfolgsrate der Transplantationen höher ist.

In Europa existieren derzeit vier verschiedene Rechtslagen: In den allermeisten Ländern gibt es eine Widerspruchslösung, wie sie nun auch der Bundesgesundheitsminister einführen möchte. Ob eine solche Regelung mit Artikel eins des Grundgesetzes, der Menschenwürde, vereinbar wäre, ist in Deutschland umstritten. Eine fehlende Entscheidung einfach als Zustimmung zu werten, ist m.E. sehr problematisch.

Um dem zu entgehen gibt es in fünf europäischen Ländern die doppelte Widerspruchslösung oder die erweiterte Zustimmungslösung wie bis 2012 auch in Deutschland.

Hier wird faktisch die Entscheidung auf die Angehörigen verlagert, die nach dem mutmaßlichen Willen des Verstorbenen entscheiden sollen. Sie müssen dies in einer höchst belastenden Situation tun: Der Patient ist hirntot, wird aber noch beatmet. Der Körper sieht aus, als ob er schlafe, der Brustkorb hebt und senkt sich noch – in dieser Situation eine Entscheidung über eine Organspende zu fällen, ist eine geradezu traumatisierende Belastung. Es ist kein Wunder, dass viele Angehörige sich in diesem Augenblick gegen eine Organspende entscheiden.

Auch die 2012 eingeführte Entscheidungslösung hat daran nichts geändert. Die Hoffnung, dass mit der Versendung von Informationsmaterial durch die Krankenkassen die Zahl der Spenderausweise zunehmen würde, hat sich kaum bewahrheitet.

Wenn mehr Organe zur Verfügung stehen sollen, ist es dringend notwendig, diese Entscheidung von den Angehörigen wegzuverlagern. Der Einzelne muss in einer unbelasteten Situation selbstbestimmt entscheiden, was nach dem Tod mit seinem Körper geschehen soll. Ich trete dafür ein, dass er zu einer solchen Willensäußerung auch verpflichtet wird – natürlich mit der nötigen Information, Zeit und Ruhe.

Möglich wäre dies z.B. bei der Beantragung eines Personalausweises. Zusammen mit dem Antrag erhalten die Menschen entsprechendes Informationsmaterial, und bei der Abholung treffen sie eine Entscheidung für oder gegen eine postmortale Organspende oder dokumentieren ein „Noch unentschlossen“.

Doch auch hier gibt es rechtliche Einwände. Die einen sind datenschutzrechtlicher Natur. Dem könnte man aber m.E. relativ einfach begegnen, indem die Information codiert wird.

Natürlich muss die Entscheidung auch jederzeit veränderbar sein – auch dafür gibt es Lösungen.

Wir müssen uns aber in Deutschland dazu durchringen, die Pflicht zur Befassung mit letzten Fragen und das Fällen einer Entscheidung für zumutbar zu halten. Nicht alle Verfassungsjuristen bejahen dies.

In einem demokratischen Rechtsstaat ist die Güterabwägung zwischen der Freiheit des Einzelnen und dem Allgemeinwohl aber nichts Unübliches.

Was wiegt das Recht eines Menschen, nicht mit einer kritischen Fragestellung behelligt zu werden, gegen das Leid von Angehörigen, die entscheiden müssen, ob ein hirntoter Verwandter zum Spender wird? Was wiegt sie gegen das Leid unzähliger Menschen, die dringend ein Spenderorgan benötigten, aber keins bekommen und sterben, so lange sie auf der Warteliste stehen?

Für mich ist die Güterabwägung hier klar, und ich halte eine Entscheidungslösung, bei der die Menschen nicht nur informiert, sondern auch nach ihrer Entscheidung gefragt werden und diese auf dem Personalausweis vermerkt wird, für den ethisch richtigen Weg.