Die sitzungsfreie Zeit erlaubt Abgeordneten, sich intensiver um ihren Wahlkreis zu kümmern. Viele führen insbesondere im Sommer dann „Reisen“ zu verschiedenen Einrichtungen durch, um die örtlichen Besonderheiten und Probleme besser zu verstehen und Ideen für Veränderungen entwickeln zu können. Auch ich handhabe es im Sommer, Herbst und Frühjahr so und nehme mir dann meine Heimatstadt Koblenz jeweils aus einem besonderen Blickwinkel vor. Im letzten Herbst habe ich mich mit „Koblenz aus der Sicht von Betriebs- und Personalräten“, also aus der Arbeitnehmerperspektive, beschäftigt. Im Frühjahr folgte „Koblenz aus der Sicht von Unternehmensleitungen“. Jetzt im Sommer habe ich mir „Koblenz aus der Sicht von Künstlerinnen und Künstlern“ angesehen, und im Herbst wird „Koblenz aus der Sicht von Menschen mit Behinderungen“ folgen. An zwei Tagen im Juli habe ich in dichter Folge mit Musikern, bildenden Künstlern und Schauspielern gesprochen. Die Gespräche verliefen nach ihrem eigenen Rhythmus und drehten sich zwar auch darum, was man als Abgeordnete verbessern könnte, vor allem aber entstand ein fassettenreiches Gemälde unserer Stadt als Kunstliebhaberin.
Das Image von Koblenz als Beamtenstadt prägt – im Guten wie im Negativen – auch dieses Bild. „Und was ist mit den vielen Studierenden?“ warf ich sofort ein. „Die Studierenden interessiert dasselbe wie den Rest der Bevölkerung auch“, stellte der Intendant des Stadttheaters, Markus Dietze, fest. Und die Touristen? Hier gibt es unterschiedliche Wahrnehmungen. Die Künstlerin Ute Bernhard bedauert, dass die größeren Museen vor allem Anziehungspunkte für Touristen seien, obwohl hier mit durchdachter Museumspädagogik und Attraktionen wie der Museumsnacht auch intensiv versucht werde, die Einheimischen anzuziehen. In den kleinen Ausstellungen treffe man hingegen eher die Einheimischen – allerdings häufig denselben Kreis. Hier wünscht sie sich noch mehr Aufmerksamkeit für das hohe Engagement der Bildenden Künstler und der Ausstellungsmacher – und zwar durchaus auch von der Politik. Die Schauspieler und Musiker, mit denen ich gesprochen habe, richten ihre Kunst vor allem an die Menschen, die hier wohnen – und werden von ihnen geschätzt.
„In Koblenz wird man auf der Straße erkannt, und das Publikum liebt seine Künstler“, erzählt der Schauspieler André Wittlich. Die gleiche Erfahrung hat der Bassbariton Nico Wouterse gemacht, der aus den Niederlanden kommt. Der Vorteil des festen Ensembles des Stadttheaters sei, dass sich die Menschen mit den Künstlern identifizieren. Insgesamt sei das Publikum sehr wohlwollend. Das findet auch Django Reinhardt: „Die Koblenzer kommen in die Konzerte und freuen sich.“ Allerdings mögen die Koblenzer vor allem die Dinge, die sie schon kennen, berichtet die Sängerin Leslie Moryson. „Sie stehen erstmal mit verschränkten Armen da und hören zu und kommen dann vielleicht später mal aus sich heraus.“ Dass das Traditionelle eher verfängt, weiß auch Django Reinhardt: „Für Free Jazz ist in Koblenz wenig Platz.“ „Und wie ist das beim Theater? Kommen da nur die Klassiker richtig an?“, will ich von Markus Dietze wissen? „Nein, längst nicht“, antwortet er. „Die Koblenzer haben zwar nach meiner Wahrnehmung durchaus Angst vor Veränderungen, aber auch eine große Loyalität, wenn sie einmal dem Neuen vertrauen.“ Markus Dietze scheinen sie zu vertrauen, denke ich, denn das Theater wird auch bei modernen Stücken und Interpretationen voll. Dietze betont noch etwas: Die Koblenzer zeigten die Bereitschaft, sich überzeugen zu lassen – auch ein schöner Zug.
„Koblenz hat eine Größe, die ich gut ertragen kann“, sagt André Wittlich und trifft damit sicher die Meinung der meisten Menschen, die hier leben. Doch auch die negativen Aspekte kommen zur Sprache: So fehlen z.B. die großen Unternehmen und damit die Sponsoren, auf die vor allem Musiker wie Leslie Moryson angewiesen wären. Und es fehlen ihrer Meinung nach die Bühnen in Clubs – eine Erfahrung, die Django Reinhard nicht teilt: „Du kannst hier überall spielen und Erfahrungen mit Live-Auftritten sammeln“, findet er. Die Frage ist dabei sicherlich, ob es genug zahlendes Publikum gibt, um davon leben zu können. Denn das unterscheidet die fest angestellten Künstler des Stadttheaters oder der Philharmonie von den Freischaffenden. Als freier Künstler von der Kunst leben zu können – sei es als Schauspieler und Autor wie André Wittlich, als Sängerin wie Leslie Moryson oder als Malerin und Schriftstellerin wie Ute Bernhard – ist sehr schwer. Dafür sei Koblenz zu klein, oder man muss sehr bescheiden sein und möglichst ungebunden.
„Und was tut die Stadt für ihre Künstler?“, interessiert mich noch. Hier höre ich viel Lob: Die Mitarbeiter des Stadttheaters heben natürlich sofort den gelungenen Anbau hervor. Markus Dietze ist davon überzeugt, dass es gut ist, dass das Theater Teil der Stadtverwaltung ist und keine GmbH. Es sei ein Theater, das eingebettet ist in das Leben der Stadt, mit der Uni kooperiert und seine Mitarbeiter auskömmlich bezahlen kann. Auch Ute Bernhard begrüßt, dass die Stadt mit dem Haus Metternich der Arbeitsgemeinschaft bildender Künstler am Mittelrhein (AKM) Räume zur Verfügung stellt. Django Reinhardt hebt noch etwas hervor: Die Stadt sei Vorreiter im Umgang mit Sinti, Migranten und Flüchtlingen und fördere auch ihre Kunst. Kritik hörte ich kaum – von der Auseinandersetzung mit dem Ordnungsamt einmal abgesehen, wenn die Musik in der Altstadt zu laut wird. Das gilt auch für das Land: Peter Harig und Wolfram Klepsch vom Orchestervorstand der Rheinischen Philharmonie fühlen sich vom Land sehr gut behandelt und loben die Arbeitsbedingungen und die Wertschätzung des Orchesters. „Es ist gut und sollte so bleiben“ ist ein Satz, den man als Politikerin nicht so oft hört und über den man sich umso mehr freut.
Genauso gefreut habe ich mich über die intensiven Gespräche und neuen Einblicke in Arbeit unserer Künstlerinnen und Künstler – vielen Dank!